Als der Bote aus Delphi zurückkam, brachte er Kunde von der drohenden Niederlage mit. Reglos lauschten Walter Dünkelmeier, Annalena Bocksberg und Robert Heckmeck seinen Worten, kaum wagten sie es, zu ihm aufzuschauen.
»Oh ihr Götter, habt ihr euch je vom Flehen von uns Erdenwürmern rühren lassen? Warum bracht ihr den Stab über uns? Haben wir doch alles für euch geopfert, sogar das Gas der Unterlinge«, brach es aus Robert heraus.
»Mir fällt nichts ein«, sprach Walter, »mir fällt nichts ein, womit wir die Pfeile Apolls zu unseren Gunsten schärfen könnten.«
Annalena hatte inzwischen eine Flasche Wodka aus dem Tantalus geholt und eingeschenkt. Da niemand reagierte, kippte sie die drei Gläser, eines nach dem anderen, hinunter, verschränkte die Arme vor sich auf der Tischplatte, legte den Kopf darauf und begann vor sich hin zu lallen.
»Wenn wir wirklich verlieren,« fuhr Walter seine Gedanken offenbarend fort, »wenn wir wirklich verlieren, wie kommen wir dann aus dem ganzen Schlamassel wieder heraus? Sie werden uns jagen. Mit Fackeln und Stangen werden sie uns aus jedweder Stadt, aus jedwedem Dorfe jagen.«
Robert seufzte und stützte den Kopf in die Hände. Dann gebot er dem Boten mit einer flüchtigen Geste, dass er sich entferne. Als dieser den Raum verlassen hatte, griff sich Robert eines der Gläser, die vor Annalenas Kopf aufgereiht standen, goß sich ein und trank es in einem Zuge aus. Anschließend senkte er die Stirn wieder in die Hände und verfiel in ein nebulöses, gedankenleeres Dösen. Ein Zustand, in dem er schon zeit seines Lebens gern verharrte.
Von der Wand her ertönte der helle Klang eines kleinen Glöckchens, dann schnarrte die Feder eines mechanischen Werkes, ein kleines Türchen öffnete sich und aus der Uhr kam ein hölzerner Kuckuck heraus, der aussah wie ein grinsender Mehlwurm.
»Russe, Russe«, rief er mit blecherner Stimme.
Robert, aus seinem Dämmerschlaf gerissen, blickt unwillig in die Richtung des störenden Lärms. Er warf das leere Glas, welches er immer noch in der Hand hielt, nach der Uhr. Das Glas schlug neben dem Türchen ein. Ein kurzes Knarzen war zu hören, dann gab es einen sirrenden Ton, das Türchen flog auf und die gebrochene Feder schleuderte den Mehlwurm aus dem Gehäuse. Die kleine Holzfigur beschrieb eine ballistische Kurve durch das Zimmer und schlug mit einem trockenen »Tok« gegen Annalenas Kopf.
Da hellte sich Walters verzweifelte Mine auf, »Ich habe es! Die Lösung!«
»Was?«
»Die Lösung, Robert. Wir fahren weg. Auf Dienstreise nach Timbuktu. Dort gehen wir in Klausur. So lange, bis sich die Wogen geglättet haben.«
»Nach Timbuktu, so ein Blödsinn. Was willst du denn in Timbuktu«, lallte Annalena.
Ihr Kopf lag immer noch auf den verschränkten Armen. Den Aufschlag des Mehlwurms und das hölzerne »Tok« an ihrem Kopf hatte sie anscheinend nicht mitbekommen.
»In Timbuktu sind die Straßen mit Gold gepflastert«, entgegnete Walter.
»Echt jetzt?«
»Gut, ich werde alle Anweisungen vornehmen, sodass wir nicht in dürftigen Umständen überwintern müssen. Hahaha überwintern. In Timbuktu. Ich bin genial! Komm Robert, es geht los!«
»Meinetwegen.«
Robert quälte sich aus seiner Dämmerhaltung, »Die Pfade durch das Leben sind eben schuftig. Was soll’s.«
Der Lindwurm
Die Nachmittagssonne zog schon knapp über den Spitzen der Felsen in den Urgründen der Orlasenke ihre Bahn, als der junge Raugraf Ritter Sax von Ulmentulp dem lang verfolgten Lindwurm begegnete. Die Faust am Eichenschaft der Lanze stellte sich der Ritter dem Ungetüm entgegen und sogleich entbrannte der Kampf. Heiß glühte unter dem Helm die Stirn, als er den Wurm endlich niederrang. Die Moral von der Geschicht: Ihr Rittersleut! Verschonet die Lindwürmer nicht!